Reisebericht Ungarn, 08. – 10.03.

Am 03.04.2022 stehen in Ungarn die Parlamentswahlen an – und mit ihnen eine Entscheidung über die Zukunft der Demokratie in Ungarn und in der EU. Seit seiner Machtübernahme im Jahr 2010 höhlt Viktor Orbán den ungarischen Rechtsstaat aus: Journalist*innen werden in ihrer Arbeit eingeschränkt, Minderheiten diskriminiert, unliebsame Richter abgesetzt und die Zivilgesellschaft drangsaliert. Ihm gegenüber steht der politische Newcomer Péter Márki-Zay, hinter dem sich in einem historisch einmaligen Schritt alle Oppositionsparteien – von Grünen bis hin zu Nationalisten – versammelt haben.

Vor diesem Hintergrund bin ich als Berichterstatterin für Ungarnder bündnisgrünen Bundestagsfraktion im Auswärtigen Ausschuss vom 8. bis 10. März in Budapest gewesen, um mir ein Bild von der Lage vor Ort zu machen und mit Vertreter*innen aus Politik, Zivilgesellschaft und Medien ins Gespräch zu kommen.

Hier findet ihr meine Hauptbeobachtungen:

  • Die historische Oppositionskoalition von sechs Parteien um den unabhängigen, konservativen Kandidaten Péter Márki-Zay ist ein bemerkenswerter Akt von politischem Willen. Márki-Zay, zuvor Bürgermeister einer Kleinstadt in Südungarn, kandidiert mit einem pro-europäischen Kurs und stellt sich klar gegen Viktor Orbáns systemische Korruption und Vetternwirtschaft. Die Parteien der geeinten Opposition vertreten das gesamte ungarische politische Spektrum und verfolgen allem voran das gemeinsame Ziel, Orbán und seine Fidesz bei den Wahlen zu schlagen. Gleichzeitig besteht wenig Zweifel daran, dass sich eine Zusammenarbeit der Parteien in einer Regierungskoalition als große Herausforderung entpuppen könnte.
  • Trotzdem wird deutlich, dass die Opposition wohl kaum Chancen auf einen Wahlsieg hat. Denn Wahlen in Ungarn sind zwar frei, aber nicht fair. In den letzten zehn Jahren haben Viktor Orbán und seine Fidesz ein System geschaffen, das die Regierungspartei systematisch bevorzugt. So spielt beispielsweise das ungarische Wahlsystem großen Parteien in die Hände. Auch sind große Teile der Medienlandschaft mittlerweile in den Händen Fidesz-treuer Eigentümer. Oppositionskandidaten tauchen deshalb kaum in der Berichterstattung auf. Talkshows und öffentliche Debatten finden nicht statt. Gleichzeitig missbraucht Viktor Orbán öffentliche Gelder für seinen Wahlkampf.
  • Alle Vertreter*innen der Zivilgesellschaft berichteten mir von täglichen Einschränkungen ihrer Arbeit durch die Regierung. Diese überhäuft sie mit bürokratischen Vorschriften. Zusätzlich sind sie der Schikane regierungsnaher Medien ausgesetzt. Besonders leiden Organisationen der LGBTQ+ Community, die sich für Bildungsarbeit zum Thema Gender, queere Identitäten und sexuelle Vielfalt stark machen. Nachdem die Orbán-Regierung bereits die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau definieren ließ und die Anerkennung von trans- und intersexuellen Menschen beendete, drohen demnächst weitere Rückschläge. Denn gleichzeitig zur Parlamentswahl finden vier Referenden statt, unter anderem über das sogenannte “Anti-LGBT-Gesetz”, das von einigen als Kopie von Putins “LGBT-Propaganda-Gesetzes” bezeichnet wird.
  • Die Medienlandschaft ist dominiert von Fidesz-nahen Akteuren mit den größten Medienunternehmen in den Händen von Orban-Verbündeten. Die staatlichen Medien sind nicht unabhängig und tragen mit voreingenommener und staatlich koordinierter Berichterstattung zur Kommunikationskampagne der Regierung bei. Den unabhängigen Medien und Journalist*innen wird der Zugang zu staatlichen Informationen stark erschwert.